09/10/2012

Charlotte Rampling - LEGENDEN Lass es uns machen

 17.10.2011


Die britische Schauspielerin Charlotte Rampling dreht seit mehr als 45 Jahren Filme. Inzwischen ist sie im Rentenalter und noch ein Sexsymbol. Männer ängstigt das möglicherweise, Frauen lieben sie dafür. Eine Dokumentation feiert die Karriere einer Provokateurin. Von Georg Diez


 
Und was, wenn wir verheiratet wären? Würden wir dann auch hier sitzen und reden, und alles wäre gut, und später würden wir nach Hause gehen, und Max würde auf uns warten, der große, schwarze Kater Max, der in einem Käfig lebte, bis sie ihn zu sich nahm, weil sie sich in ihm erkannte. "Er hatte", sagt sie, "so eine schwere Vergangenheit."

Wie sie selbst?

Ja, wie sie selbst.

Die Dinge sind erstaunlich einfach, wenn man sich mit Charlotte Rampling zum Mittagessen trifft. Man landet sofort beim Wesentlichen.

"Ich hätte gern das Lachs-Carpaccio", sagt sie zum Kellner, "und dazu einen Salat, aber bitte den Salat nicht anmachen, einfach etwas Olivenöl auf die Seite."

"Ein Glas Wein?", fragt der Kellner.

"Bien sûr. Einen Bordeaux."

"Da empfehle ich den Pomerol."

So ist das in Paris. Die Sonne scheint. Vor der Tür des Restaurants La Closerie des Lilas singen 5000 Demonstranten laut gegen die Bildungskrise an. Die Kellner tun so, als wäre Charlotte Rampling auch nur irgendein Gast. Und sie sagt gleich zu Beginn: "Ich bin keine kontrollierende Person, ich habe sogar Angst vor Kontrolle, weil ich denke, dass ich leicht zu einem Kontroll-Freak werden würde."

Wie viele Twists passen in einen Satz?

Charlotte Rampling trägt eine enggeschnittene schwarze Hose, ein weißes Hemd und eine blaue Stoffjacke, die entfernt an Mao erinnert und noch entfernter an die sechziger Jahre. Sie ist am Morgen aus London gekommen, sie hat noch ihren kleinen Rollkoffer dabei, sie hatte gerade einen Fototermin, zum Restaurant ist sie gelaufen. Ihre Sonnenbrille setzt sie nach ein paar Minuten ab.

Und da ist es dann: der Blick. Dieser Blick. Eine Provokation. Eine Erregung. Ein Schauspiel aus dem 20. Jahrhundert. Im Grunde müsste man diesen Blick als Weltkulturerbe schützen.

Hellgrün schimmern die Augen, wie ein Bach im Wald durchsetzt mit Sonnenstrahlen. Warm ist dieser Blick heute, neugierig und wach. Er hat nichts von diesem Charlotte-Rampling-Guillotineblick, der Menschen mit einem Augenschlag vernichten konnte. Er hat nichts von diesem Charlotte-Rampling-Diamantglitzern, das Männer zu Asche reduzierte.

Es ist heute einfach nur der Blick einer schönen Frau in einem gewissen Alter.

Womit wir beim Thema wären, schnell, damit es aus dem Weg ist. Rampling hat einen Film gemacht, der "Charlotte Rampling - The Look" heißt und gelungen ist, weil es praktisch unmöglich ist, einen Film mit ihr zu machen, der nicht gelungen ist. Angelina Maccarone ist die Regisseurin, und das Gute ist, dass es ein Film mit, vor allem aber ein Film über Charlotte Rampling ist. Eine Feier.

"Na ja", sagt sie, und die Augenwinkel wölben sich an beiden Seiten wunderbar leicht nach unten, so wie der Mund auch, was dem Gesicht eine heitere Art von Verachtung geben könnte, aber es nicht tut, weil es da noch diesen Blick gibt.

"Ich wollte keinen Film, in dem eine Schauspielerin über ihr Leben erzählt. Das fand ich nicht interessant. Ich finde mich nicht interessant. Jedenfalls nicht auf diese Art interessant. Wenn andere Menschen mich interessant finden, habe ich zu Angelina gesagt, dann lass sie doch mit mir reden, dann schaff doch Situationen, in denen etwas entsteht. Das ist wichtig: dass man etwas entstehen lässt."

Das sind so die Sätze, mit denen Charlotte Rampling die Welt durchtrennt. Das ist auch der Ton, von dem "The Look" getragen wird. Wir sehen einer Schauspielerin beim Denken zu.

Rampling hat sich für den Film ein paar Leute zum Reden eingeladen, die sie mag oder respektiert, die Fotografen Peter Lindbergh und Juergen Teller oder den Schriftsteller Paul Auster. Acht Kapitel hat der Film, Rampling spricht unter anderem über Alter, Dämonen, Verlangen, Tod und Tabu. Dazwischen werden Filmausschnitte gezeigt, beeindruckend in ihrer künstlerischen Konsequenz, Schlaglichter vergangener Zeiten auf die sehr heutige Frage, was es heißt, eine Frau zu sein.

"Georgy Girl" etwa von 1966, in dem sie ein lebenshungriges Londoner Mädchen spielt, das schwanger wird und das Kind nicht will - und das mit seiner Freiheit, mit seinem Körper und seinem Leben hadert.

Oder "Der Nachtportier" von 1974, in dem sie ein Nazi-Opfer spielt, das sich nach dem Krieg in Wien in seinen Peiniger verliebt - und am Beispiel von Faschismus, Gewalt und Sadomasochismus das Extrembeispiel einer echten, naiven Liebe durchbuchstabiert.

Oder Nagisa Oshimas Film "Max, mon amour" von 1986, in dem sie eine Gattin aus den höheren Kreisen in Paris spielt, die sich in einen Affen verliebt - und nach einem Moment der Utopie oder der Anarchie innerhalb des bürgerlichen Lebens forscht.

Oder "In den Süden" von 2005, in dem sie eine amerikanische Professorin spielt, die in Haiti Urlaub macht, um mit jungen schwarzen Männern zu schlafen - und viel über Alter, Begehren, Abhängigkeit erzählt.

Im Grunde, das zeigt "The Look", altert das Jahrhundert mit Charlotte Rampling, es altern die Fragen von Sex und Schönheit, von Sehnsucht und Selbstvertrauen - was auch erklärt, warum Frauen ihr fast nur mit Verehrung begegnen, während es bei Männern die Furcht ist vor dieser toxischen Verbindung aus Schönheit und Intelligenz.

Gerade im Zug von London nach Paris, erzählt sie, habe ihr ein junges Mädchen einen Brief zugesteckt, in dem stand, wie viel es ihr verdanke und was allein Ramplings Existenz dem Mädchen bedeute.

Charlotte Rampling, die feministische Ikone.

"Ich weiß nicht", sagt sie. "Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Ich war nie Teil einer Bewegung. Ich mag keine Gruppen. Ich bin ein sehr einsamer Mensch. Ich bin auch keine Celebrity."

Nur "La Légende", wie sie die Franzosen nennen. Sie lacht, sie ist jetzt fast lauter als die Demonstranten vor der Closerie des Lilas. "Nur eine Legende, ja. Ich halte mich von anderen fern. So habe ich überhaupt überlebt."

Um zu überleben, sagt sie, musste sie Distanz halten, "I had to be detached". Sie musste abgeklärt sein, unterkühlt, unbeteiligt, das ist der Schlüsselsatz ihrer Biografie und auch eine Antwort auf die Frage, was sie Frauen bedeutet. Der Blick, ihre Augen, sie tragen heute einen Zug von Verletztheit.

"Als meine Schwester tat, was sie tat, wurde ich in eine andere Umlaufbahn geschleudert. Ich habe mein Leben lang versucht, mit dieser Situation umzugehen."

Charlotte Ramplings Schwester Sarah brachte sich um, "da war sie 23 und ich war 20". Sie war krank, sagt sie und meint: Sie war depressiv.

"Sie war mit einem Argentinier verheiratet und hat sich in Buenos Aires erschossen", erzählt Charlotte Rampling. "Meine Mutter hat zu der Zeit einen Schlaganfall erlitten. Sie war nicht mehr die Gleiche. Ich habe damals die beiden wichtigsten Frauen in meinem Leben verloren."

Der Vater entschied, dass die Wahrheit die Mutter umbringen würde. Also lebte die Familie 35 Jahre mit der Lüge, die Schwester sei an einer Gehirnblutung gestorben.

"Ich war verwirrt, ich war verzweifelt", sagt Charlotte Rampling - aber sie versteht auch die Härte ihres Vaters, britischer Offizier und Leicht-athlet, der bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin die Goldmedaille mit der 4x400-Meter-Staffel gewann.

"Er war sehr diszipliniert. Er brauchte diese Disziplin, um nicht verrückt zu werden. Er war ein Mann mit einer gepeinigten Seele. Melancholie, Depression, Selbstmord, das ist in meiner Familie sehr verbreitet."

Sie selbst nahm jahrelang Antidepressiva. Sie sah ihre Mutter, die Tochter einer reichen Unternehmerfamilie, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, diese "wunderschöne Frau", wie sie sagt, nach dem Schlaganfall jahrzehntelang leiden. Sie wurde von Jean Michel Jarre, dem Popmusiker, mit dem sie 20 Jahre verheiratet war, betrogen und verlassen. Sie geriet in den Strudel der "dunklen Jahre", wie sie die neunziger Jahre nennt, "ich lebte unter Schatten".

Zwei Männer, muss man sagen, sind dafür verantwortlich, dass sie wieder auftauchte aus dem Strudel. Der eine entdeckte ihre Einsamkeit. Der andere ihre Erotik. Zusammen ist das die Essenz der heutigen Charlotte Rampling.

Der eine Mann ist François Ozon, mit dem sie im Jahr 2000 "Unter dem Sand" drehte.

"Das ist mein Film", wie sie sagt, "das bin ich. Ich wollte ja nie spielen, ich wollte immer nur sein. Ich wollte nie Schauspielerin sein, ich wollte keine Hüte und Masken aufsetzen. Erst bei diesem Film habe ich verstanden, dass ich so bin, wie ich bin, einsam, distanziert, weil ich nie wirklich um meine Schwester trauern durfte."

Ozon erzählt in "Unter dem Sand" von einer Frau, die ihren Mann ans Meer verliert und sich weigert, diesen Tod zu akzeptieren, und schenkte damit Charlotte Rampling eine dritte Karriere mit grandiosen Filmen wie "Swimming Pool", "Lemming" oder gerade Lars von Triers "Melancholia", wo sie mit fast schon humorvoller Härte eine großartig kaltherzige Mutter spielt.

Der andere Mann, der Charlotte Rampling in die Gegenwart brachte, ist Juergen Teller.

In "The Look" sitzen die beiden nebeneinander auf einer engen Treppe, es ist das beeindruckendste Gespräch, weil im Grunde nur sie redet und seine Kunst im Zuhören besteht. Sein Vater hat sich umgebracht, das, sagt Rampling, hat die Nähe zwischen ihnen ermöglicht.

Teller fotografierte sie für eine Werbekampagne des Designers Marc Jacobs und für eine Fotoserie, die er "Louis XV" nannte. Zärtliche, drastische, komische, verspielte Bilder, auf denen Charlotte Rampling mal breitbeinig auf einem Bett zu sehen ist und der nackte Juergen Teller allerlei Dinge mit dem Kaviar treibt und sich die Rollen zwischen Mutter und Muse, zwischen Sohn und Liebhaber vermischen.

Ihr Alter, übrigens? 65, sagen manche.

"Was willst du machen?", fragte sie Teller, als der sie für Marc Jacobs fotografierte.

Teller zögerte, er schwitzte. "Was ich wirklich gern machen würde?", sagte er schließlich. "Ich würde deine Brust streicheln und dich küssen."

Charlotte Rampling kramte in ihrer Tasche, zündete sich ein Zigarillo an und sagte dann: "Okay, lass es uns machen. Ich sage dir, wann es genug ist."

Teller, der sie auch nackt im Louvre vor der Mona Lisa fotografiert hat, sagt über sie: "Sie hat eine Wahnsinns-Aura. Sie hat eine Stärke. Sie ist wie ein Magnet. Ich weiß auch nicht genau, was es ist."

Stil und Dekadenz prägen die Bilder, die die beiden gemacht haben, Stil und Dekadenz, die auch den Film "Die Verdammten" aus dem Jahr 1969 prägten, Luchino Viscontis wagnerhaftes, schwules, sinnliches Meisterwerk über Stahl, Nazis und den blutigen Sturz der SA.

Man hielt sie damals eigentlich, erzählt Charlotte Rampling, für zu jung, zu sexy, zu sehr Swinging London - aber eine Szene reichte dann, um Filmgeschichte zu schreiben: Der Film "The Look" verdankt dieser Szene auch seinen Titel.

Rampling spielt die Nichte eines deutschen Stahlmagnaten. Der intrigante Clan sitzt beim Hauskonzert, Rampling ist so schön, dass sie zerbrechen könnte. Da kommt die Nachricht, dass in Berlin der Reichstag brennt. Und wie sie sich jetzt umdreht, wie sie schaut, wie ihre Augen tief werden und dann erlöschen, in diesem Blick liegt das ganze Erschrecken über das "Dritte Reich" und flackert das eigene Schicksal auf, das im KZ endet.

"Da ging der Rollladen runter", sagt sie und macht "ccchhhhrrrrriiittschhh", das Geräusch eines Fallbeils. "Ich habe die Menschen oft mit diesem Blick erschreckt. In einem Moment war ich da, im nächsten war ich weg. Einfach weg."

Das hat etwas von einem Monster.

"Ja, ich bin ein Monster", sagt sie. "Aber auf eine ehrliche Art, weil wir alle Monster sind."

Vor dem Restaurant ist es auf einmal still. Die Demonstranten sind wohl schon vor einer Weile weitergezogen. "Das war unser Pariser Moment", sagt Charlotte Rampling.

Dann erzählt sie von Max, ihrem Kater, der genauso heißt wie Max, der Affe aus dem Film von Nagisa Oshima, und Max, der Nazi-Folterer aus "Der Nachtportier".

"Wir haben uns angeschaut", sagt sie, "und haben uns verliebt."

Eine Katze mit Vergangenheit.

"Er ist wie ein Spiegel für mich. Wie ein Analytiker. Wie ein Regisseur."

Vielleicht ist sie ja ein Medium.

"Ich mache Dinge sichtbar, die unsichtbar sind", sagt sie und lauscht kurz, wie der Satz in den Pariser Himmel steigt.

"Das klingt ganz gut", sagt sie dann, "schreiben Sie das, und Sie werden ein paar Leser kriegen."



Artikel als PDF






 Source:  Charlotte Rampling

No comments:

Post a Comment