20 Juni, 2014
Boris Blanks Yello-Partner Dieter Meier widmet sich zurzeit anderen Projekten.
Für den Klangtüftler kein Problem.
Das erlaubte es ihm, sich einer Art musikalischer Biografie zu widmen.
«Melancholie ist wunderbar»: Boris Blank vor seinem Studio. Foto: Giorgia Müller |
Die Gegend sei eine noble, die Reporterin solle sich nicht wundern, hatte Boris Blank am Telefon gesagt. Untertrieben hat er nicht. Zürichberg, Doldergegend. Er sitzt in seinem Studio, das im Gartengeschoss der Villa der Meiers liegt. Draussen Mittagshitze, drinnen angenehm kühl. Blank, das musikalische Mastermind hinter dem Elektropop-Duo Yello, fährt das System hoch. Wir gehen auf eine Reise durch sein Schaffen, durch ältere und neuere Tracks, die sich über die Jahre angesammelt haben. Wie ein Eichhörnchen habe er überall seine Nüsse vergraben. Teilweise sei er selber überrascht, was er in seiner Sammlung alles so gefunden habe. Einige dieser Trouvaillen hat er nun zusammengeführt. «Electrified» nennt er das Projekt. Es klingt so vielfältig und eigenständig wie zeitlos gut und zeigt Boris Blanks künstlerisches Spektrum: von sperriger Neo-Klassik zu eingängigen, tanzbaren Beats. Die Kompositionen sind mal funky und treibend, mal melancholisch und bedrohlich, nur eines nie: gefällig.
Wie kam es zu «Electrified»?
Die Idee stammt von Ian Tregoning. Er ist ein alter Freund und ausserdem der Produzent, der Yello in England auf den Plan brachte. Ian half mir, in all den Kisten voller alter Magnetbänder zu graben und nach Fundstücken zu suchen. Diese habe ich nun in den vergangenen zwei Jahren restauriert. So kamen die Tracks zusammen, teilweise aus Fragmenten oder nie verwendeter Filmmusik. Es handelt sich ein wenig um eine musikalische Biografie. Wobei nach wie vor etwa 200 Stücke brachliegen.
Sie finanzieren das Ganze teils über Crowdfunding. Warum arbeiten Sie nicht mit einem Label zusammen?
Weil die sich auf einen so teuren Spass gar nicht einlassen würden. Ausserdem wirft eine limitierte Auflage von 1500 Stück keine Rendite ab. Crowdfunding war Ians Idee, für mich war das bis anhin ein Fremdwort.
Wie kommt man zu dem Paket?
Indem man auf Kickstarter das Set bestellt. Und nur, wenn genügend Leute mitmachen, geht es in Produktion.
Sie hätten die ethische Pflicht, Ihre Fans mit Ihrem musikalischen Können zu beglücken, und das nicht nur alle fünf Jahre – so zitiert die Yello-Biografie von Daniel Ryser Ihren Partner Dieter Meier. Geben Sie ihm recht?
Ja, schon, aber es braucht auch wahnsinnig viel Arbeit und Zeit, bis der Sound meinen Vorstellungen entspricht. Das hat Dieter inzwischen eingesehen . . . Und so viel Output wie in diesem Jahr hatte ich mein ganzes Leben nie. Ich bin ein Perfektionist, die Musik muss ein Raum sein, den man betreten kann. Um diese Qualität zu erreichen, muss ich jeweils sehr lange am Sound feilen.
Die Yello-Auftritte lassen sich an einer Hand abzählen. Warum diese Abneigung gegen Auftritte?
Weil es einfach langweilig ist, wenn da ein Typ mit seinen Apparaten statisch auf einer Bühne rumsteht.
Das machen andere doch auch, die Langeweile liegt ja in den Ohren des Zuhörers beziehungsweise den Augen des Betrachters.
Ja, aber ich kam mir jeweils vor wie ein Pilot, der mit seinem Flugzeug zur Landung ansetzt und alle dabei zuschauen, was aber keine eigentliche Show ist.
Es ist noch nicht allzu lange her, da applaudierte man in Chartermaschinen nach geglückter Landung jeweils noch wacker.
Ja, aber ein Klangmaler, und als solchen verstehe ich mich, hat nichts auf einer Bühne zu suchen. Vor Tausenden zu malen, ist doch läppisch. Nach jedem Pinselstrich über die Schulter in die Menge zu schauen und zu rufen: Hey, schaut her! Jetzt kommt dann noch etwas mehr Blau und hier noch Rot. Ist doch super, nicht?
Nervt Sie das Image des scheuen Tüftlers, der im Schatten von Zampano Meier steht, eigentlich nie?
Nein, das hat sich natürlich so ergeben. Mich als Person zu exponieren, ist für mich ein Müssen. Ich zeige mich lieber durch meine Musik. Sie sehen ja, wie ich hier arbeite: wie ein Mönch in der Klausur. Hier kann ich ungestört meine Klangbilder malen. Ich sehe höchstens mal ein Reh oder einen Fuchs.
Blanks Finger fliegen über die Tasten. Dass er zu seiner Musik selbst Visuals kreiert, ist wenig bekannt. «One Minute to Go», eine eher düstere Komposition. Wir fliegen über eine surrealistische Meereslandschaft, ein Schwarm Aquariumfische fliegt über den Bildschirm. Für andere Tracks hat Blank Künstler wie Kevin Blanc, Daniel Cherbuin oder Dirk Koy um Clips gebeten.
Was bedeutet Ihnen Melancholie?
Melancholie ist wunderbar und essenziell für die Kunst. Nur lassen wir die damit verbundenen Emotionen oft nicht an uns heran. Wir sind im Alltag von viel Belanglosem umgeben. Ich kann ja kaum mehr Radio hören. Das Tagesprogramm der Privatradios ist voller Belanglosigkeiten. Leider Gottes trifft dieser Befund auch immer mehr auf die öffentlich-rechtlichen Sender zu. Je mehr wir uns von Radio und Fernsehen erziehen lassen, umso mehr verlieren wir den Kontakt zu unseren Impulsen und Gefühlen. Die Melancholie äusserst tief Menschliches, fassbares und authentisches, sie reflektiert nicht nur eine Oberfläche.
Aber lässt eine Stadt wie Zürich der Melancholie überhaupt Raum? Zürich habe sich verändert, sagt Blank. Das Gespräch schweift ab in die 60er-Jahre, ins Industriequartier, das heute Zürich-West ist. Mitten in der Designmeile bei den Viaduktbögen war früher ein Schrotthändler. Er sei dort als Bub jeweils in die ausrangierten Autos geschlichen, um an der Elektronik rumzuhantieren. Stundenlang sei er in den Autos gesessen, wenn es draussen regnete und er die Scheibenwischer in Gang brachte.
Wie geht es mit Yello weiter?
Das neue Album ist weit fortgeschritten. Dieter hat schon einige Songs eingesungen, teils im Duett mit Malia. Mit ihr habe ich ja letztes Jahr das Album «Convergence» gemacht.
Gibt es weitere Kooperationen?
Das neuste Projekt haben wir mit Jean-Michel Jarre. Der französische Elektronik-Pionier fragte uns für eine Compilation an, auf der Artisten wie Massive Attack, Portishead, Moby, Laurie Anderson, Air, David Lynch versammelt sind. Alles grosse Stars, und da hat er Yello gebeten, auch ein oder zwei Tracks beizusteuern. Jarre ist gegenwärtig mit der Endabmischung der Platte beschäftigt. Sie wird wohl demnächst rauskommen.
Wie stehen Sie eigentlich zu Dieter Meiers später Solo-Karriere?
Die finde ich super! Dieter hat wohl immer ein wenig darunter gelitten, dass ich nie auf eine Bühne wollte. Als toller Entertainer liebt er es, aufzutreten. Dass er nun seinen Platz gefunden hat, ist für ihn befreiend. Dazu gehört wahnsinnig viel Enthusiasmus und Arbeit mit der Band. Das ist bewundernswert. Umgekehrt habe ich jetzt endlich Ruhe und muss mir nicht immer wieder anhören: Komm Boris, jetzt gehen wir endlich live.
Klingt nach altem Ehepaar.
Nein, das ist nicht, wie wenn man verheiratet ist und seiner Partnerin zusehen muss, wie sie fremdgeht. Allerdings denken das viele und fragen: «Du, stinkt dir das eigentlich nicht, wenn der Dieter da jetzt sein Ding mit anderen macht?»
Und?
Nun, ganz am Anfang war vielleicht schon für einen Moment ein komisches Gefühl dabei . . . Mir hat dann aber sofort eingeleuchtet, dass das eine gute Situation für uns beide ist. Wir betreten Nebenpfade, aber Yello wird nach wie vor unsere Hauptstrasse bleiben.
Die limitierte Auflage von «Electrified» mit 58 Tracks auf drei Vinylplatten und zwei CDs, einer Kassette und einer DVD mit zwölf Videoclips kann man über Kickstarter.com beziehen – sofern das Crowdfunding-Ziel von 50'000 Pfund erreicht wird.
(Tages-Anzeiger)
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